Bundestagswahl/Abgeordnetenhauswahl 2021
Zu den Wahlen in Berlin befragen wir die Parteien, wie sie Obdach- und Wohnungslosigkeit in Berlin bekämpfen möchten! Dazu werden wir ab dem 20. September jeden Tag die Antworten der unterschiedlichen politischen Gruppierungen veröffentlichen! Die ausführlichen Antworten werden auch hier auf der Website publiziert.
Welche Konzepte und Ziele haben sie zur Bekämpfung von Obdach- und Wohnungslosigkeit?
Grüne: Aufgrund Ihrer praktischen Erfahrung erzählen wir Ihnen sicherlich nichts Neues, wenn wir zunächst festhalten, dass es ist in der Regel ein Bündel an Problemlagen ist, das in die Obdachlosigkeit führt. Um die nötige Ruhe zu haben, das Bündel aufzuschnüren und zu lösen, braucht es einen geschützten Raum, ein Dach über dem Kopf. Wir machen uns das Ziel des Europäischen Parlaments zu eigen, die Obdachlosigkeit bis 2030 zu beenden. Mit der geplanten Gesamtstädtischen Steuerung der Unterbringung (GStU) schaffen wir für die Unterbringung nach dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) einheitliche Standards und stellen damit die Qualität von Unterbringung und Beratung sicher. Mit einem Landesamt für Un-erbringung wollen wir den Wildwuchs bei den Unterbringungen beenden. AUßerdem wollen wir als Bündnisgrüne, dass in Notunterkünften künftig mindestens 600 Plätze ganzjährig und ganztägig zur Verfügung stehen und in der kalten Jahreszeit deutlich über 1.000. Davon müssen Plätze für besonders schutzbedürftige Menschen reserviert werden und barrierefrei zugänglich sein. Alle Plätze sollen stets mit Beratungsangeboten verbunden sein. Zudem wollen wir die landeseigenen Wohnungsunternehmen stärker ins Housing First einbinden und damit mehr Menschen aus der Obdachlosigkeit holen.
Linke: Elke Breitenbach (Senatorin für Arbeit, Integration und Soziales) und Alexander Fischer (Staatssekretär für Arbeit und Soziales) haben jüngst einen Masterplan zur Überwindung von Obdach- und Wohnungslosigkeit vorgestellt. In den vergangenen Jahren fanden in Berlin fünf Strategiekonferenzen zur Beseitigung von Wohnungslosigkeit, mit dabei waren engagierte Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sozialer Träger, obdachlose Menschen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Politikerinnen und Politiker. Vorschläge und Ideen, die in diesem Masterplan stehen, wurden auf diesen Konferenzen entwickelt. Im Mittelpunkt dieses Masterplans stehen Instrumente, um Wohnungs- und Obdachlosigkeit zu verhindern und sie zu beenden. Im Mittelpunkt der Präventionsstrategie stehen die Aufgaben, Anzeichen für einen drohenden Wohnraumverlust frühzeitig zu erkennen und Instrumente und Prozesse zu entwickeln, Zwangsräumungen zu verhindern. Sollten diese Maßnahmen scheitern, verfolgt der Masterplan das Ziel, wohnungslos gewordenen Menschen schnell wieder eigenen Wohnraum zu besorgen. Dieser Housing First Ansatz soll künftig der Regelansatz der Wohnungslosenhilfe werden.
Wie stehen sie zu dem Konzept „Housing First“?
Grüne: Projekte wie „Housing First“ vermitteln Menschen als Allererstes in neue Wohnungen – mit dauerhaftem Mietvertrag – und
begleiten sie dann auf ihrem weiteren Weg. Dieses Konzept ist erfolgreich und deswegen wollen wir die Rahmenbedingungen verbessern: Sozialen Trägern und kleinen gemeinwohlorientierten Projekten, die für die spezifischen Gruppen selbst bauen wollen, soll es möglich sein, Bürgschaften auch über die Stadt zu erhalten. Vorbild ist das sogenannte Generalmietermodell der Degewo mit
sozialen Trägern in Mitte, das wir landesweit durch alle landeseigenen Wohnungsunternehmen etablieren wollen. Um das Konzept in größerem Umfang umsetzen zu können, wollen wir Wohnungen anmieten, um sie, begleitet von sozialer und psychologischer Betreuung, Obdachlosen zur Verfügung zu stellen. Wir setzen uns für ausreichend Housing-First-Wohnungen bei landeseigenen
Wohnungsunternehmen ein, werden sie deutlich ausbauen und wollen mittelfristig auch private Eigentümer*innen in die Pflicht nehmen, Housing-First-Plätze zur Verfügung zu stellen. Dabei stehen besonders verletzliche Gruppen wie Frauen, LGBTIQ*, Sexarbeiter*innen, Menschen mit erschwertem Zugang zu eigenem Wohnraum, Alleinerziehende, Minderjährige oder Menschen mit Behinderung im Mittelpunkt.
Linke: Prävention vor Wohnraumverlust und die Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum müssen im Vordergrund stehen. Die gesamtstädtische Steuerung der Unterbringung von wohnungslosen Menschen wollen wir weiter vorantreiben und das Unterbringungssystem perspektivisch zu einer sozialen Wohnraumversorgung umbauen. Eine eigene Wohnung steht am Anfang des Wegs in ein selbstbestimmtes Leben und Arbeiten. »Housing first« soll daher zum Regelansatz der Berliner Wohnungslosenhilfe werden. Wir streben eine Weiterentwicklung der Träger des Unterbringungssystems zu sozialen Wohnraumträgern an und wollen diese dabei unterstützen.
Wie bewerten sie Räumungen von Obdachlosencamps an öffentlichen Orten?
Grüne: Um gewaltsame Räumungen von Obdachlosencamps zu vermeiden, wollen wir nach dem Konzept „Safe Places“ auch in Berlin Schutzräume ermöglichen. Wir wollen gewaltsame Räumungen verhindern.
Linke: Wir lehnen Räumungen von Obdach- und Wohnungslosencamps ab und setzen auf andere Instrumente, um Menschen aus der Obdach- und Wohnungslosigkeit zu führen. Räumungen lösen diese Probleme nicht, sondern verlagern die Camps lediglich von einem Ort zu einem anderen.
Wie erklären sie sich die steigende Anzahl an Obdach- und Wohnungslosen in den letzten Jahren?
Grüne: Wie oben schon angeführt, ist es in der Regel ein Bündel an Problemlagen, das in die Obdachlosigkeit führt. Die aktuelle Situation auf dem Wohnungsmarkt, die von Spekulation und Mietenwahnsinn geprägt ist, kann als eine Ursache betrachtet werden. Auch der hohe Anteil an prekärer Beschäftigung ist ein Problem. Aus diesem Grund haben wir auf Landesebene bereit einen Mindestlohn von 12,50 Euro eingeführt und fordern diesen auch auf Bundesebene. Weiterhin hat die Corona-Krise die Situation vieler Menschen verschärft. Auch die Tatsache, dass Ausbeutung Teil der Berliner Arbeitswelt ist– ein Zustand, den wir nicht akzeptieren,kann als Ursache angeführt werden. Häufig sind Migrant*innen, aus Osteuropa oder auch von außerhalb der EU, Opfer dieser Machenschaften. Sie schuften auf Baustellen, in Hotels oder werden sexuell ausgebeutet, häufig ohne Mindestlohn, ohne Urlaub, ohne Krankenversicherung oder Anspruch auf Krankengeld. Diesem Treiben wollen wir Einhalt gebieten. Dazu wollen wir bestehende Angebote zur Vermittlung sozialversicherungspflichtiger Arbeit in den Jobcentern und den Jobpoints auch für Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit öffnen, um so zu vermeiden, dass sie in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen landen.
Linke: Wir sehen hier zwei Entwicklungen als ursächlich an. Einen Grund sehen wir in der fehlenden sozialen Flankierung der EU-Arbeitnehmer: